Ableismus in Deutschland – ein verstecktes Problem

Ableismus, also die Diskriminierung und die gesellschaftliche und politische Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen, ist in Deutschland eine tief verwurzelte Problematik, die oft nicht die Aufmerksamkeit erhält, die sie verdient. Obwohl es Gesetze gibt, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen garantieren soll, sieht die Realität der Betroffenen häufig anders aus. 

Was ist Ableismus?

Wahrscheinlich ist der Begriff „Behindertenfeindlichkeit“ in der Gesellschaft geläufiger als „Ableismus“. Der Begriff beschreibt die Situation der betroffenen Menschen jedoch genauer: Er erfasst nicht nur behindertenfeindliche Diskriminierungen und Handlungen, sondern auch die strukturelle Benachteiligung. In Deutschland ist das jedoch noch nicht sehr weit erforscht. Laut der australischen Forscherin Fiona Kumari Campell umfasst Ableismus ein „[…] Netzwerk aus Glaubenssätzen, Prozessen und Praxen, die eine bestimmte Art von Selbst und Körper produzieren (den korporealen Standard), der als perfekt, spezies-typisch und deshalb vollends menschlich projiziert wird. Behinderung wird demgegenüber als reduzierter Daseinszustand geformt“ (Campbell, 2001). Diese Glaubenssätze sind tief in unserer leistungsorientierten und individualisierten Gesellschaft verwurzelt. Selbst Betroffene verinnerlichen diese Sichtweisen oft selbst, was man internalisierter Ableismus nennt. Diese Problematik in der Gesellschaft zeigt zum Beispiel die „Leipziger Autoritarismus Studie“ aus dem Jahr 2022: Siebzehn Prozent der Befragten (in Ostdeutschland 31 Prozent) sind der Meinung, dass das Leben von Menschen mit Behinderungen weniger „lebenswert“ sei. Das sind erschreckend hohe Zahlen.  

Wie zeigt sich Ableismus in unserer Gesellschaft?

Am sichtbarsten ist Ableismus in Form von körperlichen Angriffen und herabwürdigenden Äußerungen. Manchmal ist jedoch nicht sofort erkennbar, wenn Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden. Ein Beispiel ist, wenn Betroffene ständig als hilflose Opfer dargestellt werden. Wenn man ihnen ungefragt Hilfe aufdrängt und damit Überlegenheit signalisiert. Wenn man sie ignoriert und stattdessen ihre Begleitperson anspricht. Oder wenn man Formulierungen wie „an den Rollstuhl gefesselt“ oder „trotz Behinderung“ verwendet, die ihr Leben als weniger wertvoll erscheinen lassen. Oder die Darstellung als „Held:innen“, weil sie ihren „Alltag so gut meistern“.  Zudem bleibt das Thema Sexualität von Menschen mit Behinderungen ein Tabuthema in der Gesellschaft. Diese Handlungen und Äußerungen zeugen davon, dass Menschen mit Behinderungen kaum etwas zugetraut wird und sie als weniger kompetent oder leistungsfähig wahrgenommen werden.  

Doch Ableismus zeigt sich nicht nur in zwischenmenschlichen Interaktionen, sondern auch auf struktureller Ebene. Ein Beispiel für strukturellen Ableismus ist die unzureichende Barrierefreiheit öffentlicher Einrichtungen und Verkehrsmittel, obwohl diese Hürden gesetzlich aus dem Weg geschaffen werden sollen. Unzugängliche Gebäude, fehlende digitale Hilfsmittel und komplizierte Behördenvorgänge führen dazu, dass Menschen mit Behinderungen es sehr schwer haben, am alltäglichen Leben teilzunehmen. Kurz gesagt: Sie werden von der Gesellschaft ausgegrenzt. Dies zeigt eine Infografik des europäischen Rats: 28,8 Prozent der Menschen mit Behinderungen sind von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, währenddessen die Betroffenheit bei Menschen ohne Behinderungen bei 18,3 Prozent liegt. 

Natürlich gibt es auch viele Initiativen, die Diskriminierung abbauen sollen. Leider sind einige davon nicht so inklusiv, wie sie vorgeben zu sein. So zum Beispiel Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Diese beschäftigen Menschen, die aufgrund der Art oder Schwere ihrer Behinderung keine Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt finden. Die Beschäftigten arbeiten jedoch meist zu sehr niedrigen Löhnen, die kaum über ein Taschengeld hinausgehen, obwohl sie vollwertige Arbeit leisten. Es fehlt auch an Aufstiegsmöglichkeiten oder Übergängen in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Dieses System fördert eine Abhängigkeit von diesen Einrichtungen. 

Blick in die Zukunft

Um Ableismus in Deutschland effektiv zu bekämpfen muss noch viel passieren. Umfassende Maßnahmen wie verbesserte Bildung über Behinderungen, Inklusion in Schulen und Arbeitgebern bis hin zur konsequenten Durchsetzung der Barrierefreiheit in der Öffentlichkeit sind erforderlich, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.  Auch man selbst kann viel tun, indem man die eigenen Denkmuster reflektiert und das Gespräch mit betroffenen Menschen sucht.  

Ableismus in Deutschland ist ein Thema, das uns alle betrifft. Es ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit, Menschen aufgrund von Differenzen nicht auszugrenzen – ob strukturell oder persönlich. Ein inklusives Deutschland ist nur möglich, wenn wir Barrieren abbauen – sowohl in unseren Köpfen als auch in unserer Umwelt.

Autor:in Lu Hilgers
Bild: erstellt mit ChatGPT

Quellen:
https://www.consilium.europa.eu/de/infographics/disability-eu-facts-figures/
https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/539319/ableismus-und-behindertenfeindlichkeit/
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit/ableismus-abwertung-von-menschen-mit-behinderung-was-ist-das/
https://kobinet-nachrichten.org/2021/05/01/scharfe-kritik-an-ableismus-in-deutschland/

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