Die serbische Künstlerin ist für ihre kontroversen, aufwühlenden Performances weltbekannt. Sie zählt zu den Pionierinnen der Kunstszene und stellt den Besucher:innen ihrer Performances, sowie der Gesellschaft seit vielen Jahren wichtige Fragen.
Wie eine Kunstperformance Machtverhältnisse widerspiegelte
Neapel 1974, die damals 28-jährige Performancekünstlerin Marina Abramović lädt ihr Publikum zur Performance „Rhythm 0” ein. Ein Raum, keine Bühne. In diesem befinden sich Teilnehmende, die Künstlerin selbst und 72 Gegenstände auf einem Tisch. Ein Glas Wasser, Brot, Weintrauben, eine Rose, eine Feder liegen neben Skalpell, Schere, geladenem Revolver und anderen Objekten. Das Publikum wird angewiesen, aus diesen zu wählen. Was sich in den folgenden sechs Stunden an Abramovićs Körper ereignete, war weit entfernt von schöner, farbenfroher Kunst.
Die von der Künstlerin an das Publikum gegebenen Anweisungen besagten unter anderem:
Ich bin das Objekt. Während dieses Zeitraums übernehme ich die volle Verantwortung.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rhythm_0
Die Besuchenden der Veranstaltung begannen zögerlich. Abramović beschreibt den Anfang als “easy”. Eine Person gab Abramović das Glas Wasser zu trinken, eine andere hob ihre Arme in die Luft. Doch bereits nach kurzer Zeit schnitt ein Mann ihr die Kleidung vom Körper, der Künstlerin wurden Schnitte zugeführt, es wurden sexuelle Übergriffe an ihrem Körper ausgeführt und letztlich auch der geladene Revolver an ihrem Kopf platziert. Im Publikum formten sich gegensätzliche Gruppen. Die eine schützend, die andere ergötzt am Leid der Künstlerin.
Am Ende der Performance wandte sich Abramović den Teilnehmenden zu, jedoch war keine:r von ihnen bereit für eine Konfrontation.
https://www.youtube.com/watch?v=M4so_Z9a_u0
I was a mess, I was half naked, I was full of blood and tears were running down my face.
so Abramović.
Braucht es nur das Einverständnis einer Person, um das die andere Person sich fraglos zur Gewaltausübung eingeladen sieht? Führt eine Erteilung von Macht automatisch zum richtigen Handeln oder ist nur eine aufgestellte Grenze und ihre Überschreitung ein Zeichen für richtig und falsch? Für strafbar oder lobenswert? Im Fall “Rythm 0” gab es diese Grenze nicht.
Marina Abramović
verhielt sich ihrer Performance gegenüber so verpflichtet, dass sie sich weder
No Innocent Bystanders (Frazer Ward, 2012)
einer Vergewaltigung noch einem Mord widersetzt hätte.
Sollte uns also der sich dem Schutz anderer verpflichtete Teil des Publikums oder gar der einer Gesellschaft ausreichen? Das Publikum bekommt nach einer Performance keine Antwort auf seine Fragen, es wird lediglich zum Austausch eingeladen und geht nicht selten mit einer großen Menge an Emotionen und Erkenntnissen über sich selbst zurück in den Alltag. Die Antworten sind nicht entscheidend, sondern der Vorgang selbst.
Autorin: Sophie Rochlitzer
Bild: rawpixel.com auf freepik.com