Meister des Surrealen – wie David Lynch das moderne Kino prägte

David Lynch ist tot. Am 15. Januar 2025 starb der Regisseur, Musiker und Künstler im Alter von 78 Jahren. Er ist bekannt für seine Filme wie Blue VelvetMulholland Drive und vor allem die Mystery-Horror-Serie Twin Peaks. Die Atmosphäre dieser können beschrieben werden als uncanny (zu Deutsch: unheimlich) und desorientierend. Beim Zuschauen fühlt es sich so an, als würde man in einem lebendigen, unvorhersehbaren Traum leben, in dem bezaubernde Schönheit und verstörender Horror gleichermaßen existieren. Diese einzigartigen Lynch-Werke sind noch Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen Vorbild für Regisseur:innen, Musiker:innen und Künstler:innen. Doch warum hat der Künstler nach wie vor so einen bemerkenswerten Einfluss?

Das Besondere / Uncanny Valley

Ab Mitte der 1990er Jahre kreisen David Lynchs Werke um die Dualität der menschlichen Natur. Anfangs ist es schwierig, die Rätsel seiner surrealen Kunst in Form von Filmen (und anderen Formaten) zu lösen. Man ist mit dem Ungewissen konfrontiert und damit, dass die eigene Interpretation in ständiger Veränderung ist – so wie man selbst. Dass die Zuschauer:innen auch nach mehrmaligem Ansehen seiner Filme trotzdem noch nachdenken und diskutieren möchten, ist ein Hinweis darauf, dass seine Filme zeitlos sind – und somit auch eine Inspirationsquelle für Regisseur:innen oder andere Künstler:innen.

Hinzu kommt, dass Lynch sich nicht für konventionelles Storytelling interessiert, sondern für Themen, Stimmungen und die Manipulation des Publikums. Der Regisseur thematisiert Dinge, über die es schwierig ist zu reden, und die nicht auf eine konventionelle Art und Weise kommuniziert werden können. Leben, Tod, Hass und Liebe werden nicht vorrangig über Dialoge vermittelt, sondern mehr über indirekte “Wege” wie die Stimmung, das Gefühl, Farben, das mise-en-sceneoder Details, für die wir nicht einmal Worte haben. Mit seinen Werkzeugen hat er die Fähigkeit, selbst mit normalen Alltagsgegenständen ein unruhiges Gefühl im Publikum auszulösen. Zu seiner Zeit war er einer der ersten, der vom traditionellen Storytelling abwich und so einzigartige Werke schuf. 

Ein Blick auf einen seiner erfolgreichsten Filme zeigt, wie Lynch diese Ansätze konkret umsetzte und welchen Einfluss er damit auf die Filmwelt hatte.

Blue Velvet (1986)

Der Mystery-Thriller Blue Velvet gilt als eines von David Lynchs Meisterwerken, obwohl er aufgrund seines expliziten Inhaltes auch auf kritische Stimmen stieß. Der Film handelt von dem Collegestudenten Jeffrey Beaumont, der seinen Vater in einer idyllischen Kleinstadt besucht. Auf einer Wiese entdeckt er ein abgeschnittenes Ohr.  Daraufhin deckt Jeffrey mit der Polizistentochter Sandy die dunklen Abgründe der eigentlich harmonisch wirkenden Stadt auf. 

Besonders auffällig sind die Farbkontraste, die die Gegensätze zwischen Idylle und Abgrund betonen. Kräftiges Blau, feuriges Rot und pastellige Pinktöne stehen dunklen, bedrohlichen Schatten gegenüber. Unterstützt wird dies mit sanften Klängen, zum Beispiel mit dem Song In Dreams von Roy Orbison, die für die Idylle stehen, und abrupten, beklemmenden Geräuschen, die die Gegenwelt zur harmonischen amerikanischen Kleinstadt zeichnen und die Gangster Dorothy Vallens und Frank Booth charakterisieren. Natürlich kommt Lynchs berühmte Kameraführung zum Einsatz, die extreme Nahaufnahmen mit langsamen Kamerafahrten kombiniert, um das Unheimliche im Alltäglichen hervorzuheben. 

Der Einfluss von Blue Velvet lässt sich am meisten in den Filmen von Quentin Tarantino (Kill Bill (2003), Pulp Fiction (1994)) betrachten. In Lynchs Filmen wird die dargestellte Gewalt zu einer Art stilistischem Mittel, das detailliert Brutalität und Perversion ganz nah betrachtet und atmosphärisch verdichtet. Inspiriert davon ist in Tarantinos Reservoir Dogs (1992) eine Anspielung auf das abgeschnittene Ohr in Blue Velvet zu sehen. Auch, dass in gewaltvollen Szenen Musik als Kontrastmittel genutzt wird, hat Tarantino aufgegriffen und sehr gekonnt in seinen Filmen eingesetzt – wie zum Beispiel die Folterszene in Reservoir Dogs, die mit dem Song Stuck In Middle With You der Band Stealers Wheel unterlegt wurde. 

Ebenso ist die Darstellung von Spannungsfeldern zwischen Normalität und Abgründigkeit, die David Lynch perfektionierte, oft in Filmen von Tarantino zu finden. Besonders in Pulp Fiction (1994) sieht man diese Kombination aus alltäglichen Gesprächen und plötzlicher Gewalt.

Ein Vermächtnis, das bleibt

Ob durch markante Kameraführung, sein Gespür für Atmosphäre oder seine Darstellung der Ambivalenz zwischen Schönheit und Gewalt – David Lynch hat das Kino auf eine Weise verändert, die bis heute nachwirkt. Regisseur:innen greifen bewusst oder unbewusst auf seine Erzählweise zurück. Lynch hat bewiesen, dass Film weit mehr sein kann als bloße Unterhaltung – es kann eine hypnotische, verstörende und tief bewegende Erfahrung sein.

Autor:in: Lu Hilgers
Bild: pixabay

Beitrag erstellt 199

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben

Accessibility Toolbar