“Pay it no mind”: Wer war Marsha P. Johnson?

Seit 1979 findet jeden Juni der Pride Month in Deutschland statt. Gefeiert werden hierbei die Communities der LGBTQIA+ Vereinigung. Die Geschichte dahinter beginnt aber bereits zehn Jahre vorher. Im Jahr 1969 wurde das erste Mal die CSD-Bewegung entfacht. Während einer Razzia in der Bar Stonewall Inn fingen Menschen an, sich plötzlich zu wehren, unter ihnen auch Marsha P. Johnson. „Pay it no mind“ bekam jeder zu hören, der Marsha nach ihrem Geschlecht fragte.

Auch das Initial „P“ steht nicht für einen bürgerlichen Namen, sondern für die sinngemäße Übersetzung: „Ich bin, wer ich bin, und hast du damit ein Problem, so ist es nicht meins.“ Aber was steckt hinter der Person und warum steht sie sinnbildlich für den Beginn des Pride Month? Wir finden es heraus.

Von Geburt bis „Drag-Mutter“ – die Jugend von Marsha

Marsha verwendete für sich selbst die Pronomen she/her. Am 24. August 1945 wurde sie in Elizabeth, New Jersey, geboren. Ihr Leben begann nicht einfach. Als fünftes von sieben Kindern einer afroamerikanischen Arbeiterfamilie begann sie bereits mit ungefähr fünf Jahren, Kleider zu tragen. Das gefiel vielen aus ihrem damaligen Umfeld nicht. Von anderen Kindern wurde sie dafür schikaniert, von den Eltern nicht unterstützt und sogar von einem 13-jährigen Jungen sexuell angegriffen. Nachdem sie ihren Highschool-Abschluss gemacht hatte, packte sie 1963 ihre Sachen und zog über den Hudson River nach New York City. Ihr Hab und Gut betrug dabei nur eine Tasche mit Kleidung und 15 Dollar. Dort änderte sie ihren Namen zu „Black Marsha“. Außerdem fügte sie ihr berühmtes Initial „P“ und den Nachnamen „Johnson“ hinzu. Der Nachname wurde hierbei vom Howard Johnson Restaurant inspiriert, welches sie häufig besuchte.

Im Greenwich Village versuchte Marsha, über die Runden zu kommen. Etwas Geld nahm sie über das Kellnern ein, doch durch die Verfolgung und Diskriminierung von LGBTQIA+ Menschen zu der Zeit war die Arbeitssuche schwierig. Im Bereich der Sexarbeit fand sie letztendlich eine Möglichkeit zu überleben. Misshandelt von Kunden und oft verhaftet von der Polizei brachte der Job aber nicht mal genug Geld, um die Miete zu bezahlen, sodass Marsha obdachlos wurde. In der Zeit lernte Marsha die sechs Jahre jüngere Sylvia Rivera kennen, eine queere lateinamerikanische Dragqueen, die ebenfalls in die Geschichte eingehen sollte. Marsha übernahm fortan eine schwesterliche Rolle für sie. Die beiden wurden Freunde bis an Marshas Lebensende.

Obwohl Marsha selbst ständig ums Überleben kämpfte, bot sie anderen Menschen mentale oder sogar finanzielle Unterstützung an. Ihr schwer erarbeitetes Geld gab sie an Leute weiter, die es noch nötiger hatten. Dabei schlief sie oft bei Leuten, die sie kennenlernte oder in Kinos. Durch die vielen Festnahmen und Misshandlungen erlitt sie körperliche und mentale Beschwerden. Sie kam in die Psychiatrie und wurde später wieder entlassen. Folgen von den Verletzungen zogen sich über ihr ganzes restliches Leben. 

Trotz der schlechten Bedingungen schaffte sie es, sich ihrer Identität als Transgender-Frau zu bekennen. Der Begriff „Transgender“ war damals noch nicht geläufig, weshalb sich Marsha dem Begriff „Gay“ zuordnete. Im Nachtleben der Christopher Street fand sie einen Job als Dragqueen. Mit Kleidung aus dem Secondhand-Geschäft schneiderte sie sich ihre Kostüme selber. So schaffte sie es, eine weitere Geldquelle zu finden.

Zunehmend wurde sie damit immer bekannter in New York und der LGBTQIA+ Community. Unter dem Namen “Drag Mutter” half sie obdachlosen Jugendlichen, die ebenfalls zur Community gehören. Schon bald würde sie als Aktivistin noch bekannter werden.

Stonewall 1969 – Wendepunkt der LGBTQIA+ Bewegung

Am 28. Juni 1969 fanden die sogenannten Stonewall-Unruhen statt. Der New Yorker Club The Stonewall Inn, in der Christopher Street, war zu einem bekannten Treffpunkt der Community geworden, an dem die Polizei regelmäßig Razzien durchführte. Auch an diesem Abend kam es zu Verhaftungen von Menschen aus dem Pub. LGBTQIA+ Personen wurden unter fraglichen Vorwänden aufgefordert mitzukommen, mit Handschellen gefesselt und öffentlich in die Polizeiautos gesetzt.

Da weitere Community-Mitglieder dies für ungerecht hielten, beschlossen sie, sich zu wehren. Die Situation artete aus und die Kämpfe verteilten sich über mehrere Straßen auf mehrere Tage. Man sagt Marsha nach, dass sie sich als erstes gewehrt haben soll und ein Schnapsglas warf. Dies gilt allerdings nicht als offiziell bestätigt. Unabhängig von ihren Aktionen wird Marsha als eine der Schlüssel-Charaktere des Aufstandes gesehen. Sie gilt bis heute als Vorreiterin der Freiheitsbewegung.

Der erste Christopher Street Liberation Day

Aus den Ausschreitungen entwickelten sich verschiedene Gruppen, welche sich für die Rechte der Community stark machten. Eine große Organisation war die Gay Liberation Front. Die Gruppe organisierte regelmäßige Proteste, welche bald Zuspruch und Nachahmung auf der ganzen Welt erhielten. Ein Jahr nach den Stonewall-Ereignissen gedachten Hunderte Menschen dem Aufstand. Genannt nach der Straße formte sich der CSD.

Auch Marsha schloss sich einer Organisation an. Sie kämpfte besonders weiterhin für transsexuelle People of Color. Während Marsha weiterhin als Dragqueen und Sexarbeiterin ihr Geld verdiente, gründete sie 1970 gemeinsam mit Sylvia Rivera die Street Transvestite Action Revolutionaries, oder kurz: STAR. Die Organisation engagierte sich für die Rechte von Transgender-Personen und bot obdachlosen LGBTQIA+ Jugendlichen Unterkunft sowie weitere Hilfsmittel an. In den 1980er Jahren erweiterte Johnson ihren Aktivismus auf die AIDS-Epidemie. Sie trat der bekannten Organisation Act Up bei und wurde aktiv gegen die Stigmatisierung von HIV-Patient:innen. 1990 wurde sie durch einen positiven HIV-Test persönlich Teil des Protestes.

Der Tod von Marsha P. Johnson

Am 6. Juli 1992 wurde die 46 Jahre alte Marsha tot im Hudson River gefunden. Obwohl der Tod von der Polizei als Selbstmord eingestuft wurde, weigerten sich viele Menschen das zu glauben. Dem New York Anti-Violence Project zufolge war 1992 das Jahr mit der größten Gewalt gegen die LGBTQIA+ Community. Demonstrationen fanden statt. Die LGBTQIA+ Gemeinschaft war darüber verärgert, dass die Polizei sich weigerte, weitere Ermittlungen anzustellen und viele Medien nicht über ihren Tod berichteten. Der Fall wurde letztendlich von der Polizei als Ertrinken aus ungeklärter Ursache eingestuft und Hunderte von Menschen kamen zu Marshas Beerdigung. Die Kirche war so überfüllt, dass die Leute auf der Straße standen. 2012 setzte die Polizei in New York die Ermittlungen zu ihrem Tod erneut in Gang, doch handfeste Beweise wurden nicht veröffentlicht.

Wer Interesse an diesem Thema hat, der sollte sich den Dokumentarfilm „The Death And Life of Marsha P. Johnson“ anschauen.

Autor:in: Emma Zoé Bähr
Bildquelle: Wikimedia Commons, Andrew Ratto

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