Esther Beckers Debütroman „Wie die Gorillas“ offenbart, wie Frauen von Kindesbeinen an um die Kontrolle über sich selbst kämpfen müssen.
Im Jahr 2024 brauchen wir doch keinen Feminismus mehr! Oder? Dass dieser häufige Irrglaube leider noch immer nicht stimmt, erleben Svenja, Olga und die namenlose Protagonistin in „Wie die Gorillas“ am eigenen Leib. Gemeinsam durchleben sie ihre Kindheit, Pubertät und Studienzeit und lernen, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft eine Frau zu sein.
Unausgesprochene Regeln
Obwohl der Roman mit nur 154 Seiten vergleichsweise kurz ausfällt, birgt er ein Sammelsurium an prägenden Erfahrungen, welche vielen Frauen aus ihrem eigenen Leben bekannt sein dürften. Die Regeln des Frauseins sind der Protagonistin klar: Du musst hübsch, schlank und haarlos sein. Dafür geht sie täglich laufen und rasiert sich mindestens genauso oft. Aber nicht vergessen: „Man muss bei allem immer so tun, als wäre es von Natur aus so.“ Also rasiert sie sich immer heimlich im Schwimmbad. Warum sie diese Regeln fast wie besessen befolgen soll, scheint die Protagonistin selbst nicht ganz zu wissen.
Machtspielchen
Der heranwachsende weibliche Körper wird dabei zum Schlachtfeld: Während Olgas erzkonservative Eltern verzweifelt versuchen, Olgas Sexualität zu unterdrücken, muss Svenja halbnackt über Theaterbühnen stöckeln, in der Hoffnung sich endlich als Schauspielerin zu etablieren. Dabei zeigt der Roman drastisch die Absurdität und Unerreichbarkeit der Erwartungen, die unsere Gesellschaft Frauen auferlegt: Einerseits ist der pubertierende weibliche Körper beinahe widerwärtig, voller Haare und aufgedunsen. Andererseits schämt man sich für das selbstbewusste Auftreten der Töchter – ihnen sollten doch ihre Reize bewusst sein, bedecken müssten sie sich. Eines vereint jedoch beide: Die Verantwortung, nicht zu missfallen, trägt allein die Frau.
Die Atmosphäre in „Wie die Gorillas“ ist eher kalt, der Humor trocken, fast schon bissig. Die Ereignisse werden scheinbar emotionslos dokumentiert. Doch genau darin verbirgt sich die volle, eben doch emotionale Wucht von „Wie die Gorillas“. Der Roman erzählt von der Wut und Verzweiflung junger Frauen zwischen Anpassung und Ausbrechen in einer Gesellschaft, der sie nie genug sein werden. Dabei erinnert der Roman in seiner Härte zum Teil an die gefeierte Fernsehserie „Fleabag“ aus der Feder von Phoebe Waller-Bridge. Wer sich also gerade im „Fleabag“-Rewatch befindet, empfehle ich, sich als Nächstes „Wie die Gorillas“ vorzunehmen. Vielleicht lässt sich die Geschichte sogar demnächst im Kino schauen; das Drehbuch wird zumindest bereits von der deutschen Filmförderungsanstalt unterstützt.
Autorin: Carmen Jenke
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