Von Sucht und Existenzvernichtung

Automatisch wandert ein Daumen über das Display eines Handys. Nicht irgendein Daumen, mein Daumen. Trotzdem scheine ich ihn nicht mehr zu kontrollieren, der Finger weiß den Weg von ganz allein. Der Finger ist den Weg 1000 mal gegangen, kennt ihn in- und auswendig. Da unten links in der Ecke wartet das Paradies. Regenbogenfarben leuchtet es meiner Fingerkuppe entgegen und spiegelt sich in meinen glänzenden Augen.

Wie ferngesteuert tippe ich auf das verlockende Quadrat, die App öffnet sich und mit ihr eine neue Welt. Sie zieht mich sofort in ihren Bann. Stories, Reels und ein Haufen bunter Bilder. Bloß nichts länger als 15 Sekunden, dann wieder etwas Neues. Mehr Content, mehr Menschen, mehr Möglichkeiten.

Ich folge über 500 Instagram-Accounts. Alles wichtig, alles interessant, kann ich nicht drauf verzichten. Kunst, Kultur, Deutschrap, Feminismus. Im nächsten Slide noch eine Petition fürs Klima unterschreiben, ein lustiges Meme, aktuelle Corona-Zahlen und politisches Weltgeschehen. Dazwischen Vintage-Mode, Designer-Marken, Sonnenbrillen und große Ketten, die Hälfte davon Werbung.

Ich bin schon wieder über 30 Minuten hier, bevor mir klar wird, dass ich noch kein einziges bekanntes Gesicht gesehen habe. Außer vielleicht das der ARTE Moderatorin oder des DJ-Duos „hoe-mies“. Aber das sind nicht meine Freunde. Die Profile, die Instagram zu dem machen, was es im Kern ist, ein SOZIALES Netzwerk, fehlen. Ich sehe nicht, was bei meinen besten Freund*innen geht, keine gemeinsamen Posts, keine Nachrichten. Ich stehe über diese App nicht mehr mit ihnen in Kontakt, denn:

ALLE MEINE FREUNDE LÖSCHEN INSTAGRAM 

Die Sucht 

Das Ziel von Instagram (und jeder anderen Social-Media-Plattform) ist ganz einfach. Das Unternehmen dahinter möchte, dass die Nutzer möglichst viel Zeit in ihrem Netzwerk verbringen. Denn so verdienen sie ihr Geld. Je länger wir online sind, umso mehr Daten können gesammelt und dann in zielgerichtete Werbung umgewandelt werden. Es ist wie eine Krankheit. Und nicht nur ich und mein ferngesteuerter Daumen leiden daran.

Symptome: übertrieben lange Bildschirmzeit, schlechter Schlaf (da der Bildschirm auch noch 4 Stunden nach dem zu Bett gehen flackert), schlechte Laune, dauerhafte Anspannung, fehlende Konzentration.
Diagnose: Social-Media-Sucht.

Ausgelöst durch einen Stoff, der als Belohnung für unser Online-Engagement im Gehirn ausgeschüttet wird: Dopamin. Das Molekül für Lust, Motivation und Sucht. Es wird im Körper freigesetzt, wenn du dir das dreißigste Glow-Up auf TikTok ansiehst, auf Instagram Likes bekommst oder bei Tinder ein neues Match einsackst. Eine körpereigene Droge, die ganz bewusst eingesetzt wird, um uns von sozialen Medien wie Instagram anhängig zu machen. Hinzu kommt, dass wir im Kern soziale Wesen sind. Immer auf der Suche nach Akzeptanz und einer Gruppenzugehörigkeit. Viele finden diese auf Instagram und fühlen sich durch den Austausch und Likes auf ihre Posts im eigenen Aussehen und Lebensstil bestätigt. 

Die Lösung

Die Lösung des Problems: Social-Media-Pausen oder die Instagram-App komplett vom Home-Screen verbannen und dann doch einmal am Tag über den Browser gucken, was so geht. Heuchlerisch und letztendlich auch sinnlos.Instagram einfach komplett zu löschen, ist dagegen für mich persönlich ein radikaler Schritt. Kaum vorzustellen was ich dabei alles verpassen könnte. Zusätzlich verliere ich einen wichtigen Weg, mich der Welt mitzuteilen und zu informieren. Mich für wichtige Themen einzusetzen, kurze Aufmerksamkeiten an alte Freunde & Bekannte zu senden und Inspiration zu sammeln. Aber am allerwichtigsten, wie soll die Welt denn dann sehen, wie unglaublich gut ich einfach auf all diesen Bildern auf meinem Profil aussehe? 

Meine Freund*innen sind mindestens genau so schön, haben dieses Bedürfnis aber anscheinend nicht mehr. Denn sie haben gemeinschaftlich vor einigen Monaten ihre komplette Social-Media-Existenz vernichtet. Nicht nur abgemeldet und die App vom Home Screen verbannt, nein, alles komplett weg. Für mich ein wirklich großer Schritt, also habe ich sie gefragt, wie sich das so angefühlt hat und ob seitdem etwas anders ist. 

Die Heilung

Lilli, 21, Studentin in Hannover
„Natürlich hatte ich zuerst auch Angst, wichtige News und das was meine Freunde machen zu verpassen. Dann ist mir aber aufgefallen, dass längst nicht alles geteilt wird und man ja auch über andere Wege Kontakt halten kann. Das ist dann auch viel persönlicher. Zum Schluss habe ich in meinem Feed gar nicht mehr das gesehen, was meine Freunde posten, sondern nur die Bilder von Leuten mit großer Reichweite, die mir was verkaufen können – oder Werbung. Der Algorithmus ist krass; was mir da an Werbung vorgeschlagen wurde, war echt beunruhigend persönlich und hat mich dauernd zu sinnlosen Käufen gebracht. Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden mit meiner Entscheidung! Und ich muss sagen, dass ich mein Konto vorübergehend deaktiviert habe. Ich könnte es also jederzeit zurückhaben. Instagram tut natürlich alles dafür, dass man die Plattform nie komplett verlässt.“ 

Henni, 22, Studentin in Lüneburg
„Ich habe einfach gemerkt, wie ich mich jedes Mal, nachdem ich auf Instagram war, schlecht gefühlt habe. Ich hatte das Gefühl, dass alle mehr erleben, coolere Sachen machen oder die tollsten Kleiderschränke haben. So habe ich mich immer unbewusst verglichen und weil Instagram nur die Highlights zeigt, schneidet man selbst automatisch schlechter ab. Außerdem hatte ich das Gefühl mehrere Stunden pro Tag mit sinnlosem Scrollen zu verschwenden. Ich habe dann auch öfter versucht, Social-Media-Pausen einzulegen, aber immer, wenn mir auch nur ein bisschen langweilig war, habe ich Instagram geöffnet. Ganz automatisch. Als dann ein paar Freunde von mir beschlossen haben ihre Accounts zu löschen, habe ich mitgezogen. Seitdem fühle ich mich besser. Ich schlafe besser, lese wieder mehr und shoppe viel weniger. Schade finde ich, dass ich weniger von Freunden und Familie mitbekomme, mit denen ich nicht regelmäßig telefoniere oder anderweitig Kontakt halte. Zu einem Instagram ohne Influencer und Explore-Page, wo man nur seine Freunde sieht, würde ich vielleicht zurückkommen.“

Man sollte sich als Nutzer*in sozialer Medien also in erster Linie bewusst machen, wie die Plattform funktioniert und was sie mit einem macht. Dass nichts echt ist und die Plattform genau konzipiert ist, um dich so lange wie möglich an den Bildschirm zu fesseln. Es ist wichtig, die Entscheidung von Menschen zu akzeptieren, die diesen Suchtfaktor aus ihrem Leben verbannen wollen. Aber genau so ist es auch nicht zu verurteilen, weiterhin an sozialen Medien festzuhalten. Es ist immerhin eine Sucht, von der wir hier sprechen und damit sollte nicht leichtfertig umgegangen werden. 

Ich habe mich nun ausführlich mit diesem Thema beschäftigt und eine Entscheidung getroffen. Instagram bleibt. Ich bin weiterhin süchtig und alle meine Freund*innen nicht mehr auf Instagram. 

OUTRO

Allen, die sich weiter mit Social-Media-Sucht beschäftigen wollen, empfehle ich die Netflix Doku „Das Dilemma mit den sozialen Medien“ oder die ARTE Serie „Dopamin“. Und allen, die es nicht interessiert, wünsche ich ein fröhliches Weiterscrollen.
WAS IST DEINE MEINUNG ZUR NEUEN DROGE „DOPAMIN“ UND DENKST DU, DU BIST SCHON VOLL ABHÄNGIG? 
HAST DU SCHON MAL EINE SOCIAL-MEDIA-PAUSE EINGELEGT UND WIE IST ES DIR DAMIT ERGANGEN? 
SCHREIBT ES GERNE IN DIE KOMMENTARE UNTER DEM ARTIKEL. 

Autorin: Paula Goos
Bildquelle: selfmade mit Abbildungen von unsplash & Pngtree

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