Zukunftskompetenzen im digitalen Wandel

Ein Interview mit Herr Professor Figge und Frau Tischer aus dem Lehrgebiet Electronic Publishing und Multimedia

Die Zahlen sinken stetig, dennoch sind sich viele Kleinverlage sicher auch in Zukunft relevante Wettbewerber der deutschen Verlagslandschaft zu sein. Aber wie stehen ihre Chancen in Zeiten des umfassenden digitalen Wandels wirklich? Damit befasst sich die im Oktober 2020 veröffentliche Forschungsarbeit von Herrn Professor Figge und Laura Tischer aus dem Lehrgebiet Electronic Publishing und Multimedia. Wie sie ihre Forschung durchgeführt haben und zu welchen interessanten Ergebnissen sie gekommen sind, erzählen uns die beiden in einem Interview:

Wen haben Sie erforscht und wie sind Sie dabei vorgegangen?

Unsere Forschung basiert auf einer Befragung, welche auf der Grundlage von Expertengesprächen entwickelt wurde. Mit Hilfe der IG Kleinverlage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels haben wir einen detaillierten Online-Fragebogen zu „Zukunftskompetenzen von kleinen und mittelgroßen Verlagen im Digitalen Wandel“ versandt.

Entlang einer Wertschöpfungskette wurde untersucht, welche Faktoren aufgrund der Digitalisierung auf die Verlage einwirken. Hierbei wurde zwischen Kleinstverlagen bis 100 000 € Jahresumsatz, kleinen Verlagen bis 1 Mio. € Umsatz und mittleren Verlagen bis 10 Mio. € Umsatz unterschieden. Mit Hilfe einer Clusteranalyse konnten wir fünf Verlagscluster unterscheiden. Diese haben wir beschrieben und Empfehlungen für sie und andere Stakeholder ausgesprochen.

Was war in Ihren Augen besonders auffällig während der Durchführung? Wie können wir uns die aktuelle Situation in den Verlagen vorstellen?

Die Ergebnisse der Umfrage zeigen deutlich, dass die Mehrheit der Verlage unvorbereitet in Hinblick auf die Marktveränderungen ist. Dabei hat uns besonders überrascht, dass eine Mehrheit der Verlage die dramatische Entwicklung aufgrund der Digitalisierung nicht einmal wahrnimmt.

Dies, obwohl die Anzahl der Verlage seit Jahren sinkt und Studien das sich ändernde Mediennutzungsverhalten oder die sinkenden Leser*innen und Kundenzahlen im Buchmarkt, wie bspw. 2018 in der Quo Vadis Studie von Börsenverein und GfK (Growth from Knowledge) beschrieben, hervorheben. Da sie sich nicht gefährdet fühlen, reagieren diese Verlagscluster verständlicherweise auch kaum auf Markentwicklungen.

Wir hatten erwartet und gehofft, dass die Bedeutung der Digitalisierung längst von der Mehrheit der Kleinverlage wahrgenommen wird. In den meisten Fällen verfügen diese Verlage über keine systematische Marktforschung innerhalb und außerhalb der Branche und auch über keine konsequente Digitalisierungsstrategie. Dies betrifft u. a. die IT-Sicherheit, die medienneutrale Datenhaltung oder das Social Media Marketing.

Anhand der o. g. Clusteranalyse haben wir die befragten Verlage in Strategietypen eingeteilt. Dabei konnten wir fünf Cluster mit unterschiedlichen Strategien identifizieren: Traditionelle, Einsteiger, Digitale, Dienstleister und Avantgarde. Demnach haben wir Traditionelle, die primär auf das gedruckte Buch, traditionelle Produktionsmethoden und Vertriebswege setzen sowie die digitalen Einsteiger, die im Unterschied zu den Traditionellen bereits in digitale Vertriebswege investieren.

Diese beiden Cluster machen ca. 80 Prozent der befragten Verlage aus. Neben diesen zwei Clustern ergaben sich drei kleinere Cluster, die sich auf unterschiedliche Strategien ausgerichtet haben, wie die konsequente Digitalisierung von Produktion, Marketing und Vertrieb oder die Ausrichtung auf bestimmte Nischen wie Selfpublishing mit spezifischen Dienstleistungen.

Was sollten Verlage dringend an ihrer Arbeit ändern, um weiterhin mithalten zu können?

Es ist wichtig, zuerst ein Bewusstsein für die Digitalisierung zu entwickeln. Die Verlage sollten ihren Markt, auch in Hinblick auf neue Wettbewerber um Zeit und Budget ihrer Kunden, analysieren und eine eigene digitale Strategie erarbeiten. Anhand der fünf Cluster kann ein Verlag herausfinden, zu welchem Strategiecluster er gehört und Empfehlungen in der Studie finden.

Während unseres Vortrages und Workshops, auf dem future!publish- Kongress am 14.01.2020, konnten sich sowohl eine Reihe von Verlagen spontan in die Cluster einordnen als auch Empfehlungen bestätigen oder neue praktische Hinweise aufgrund der eigenen Erfahrung nennen.

Haben Sie konkrete Handlungsempfehlungen, die Verlage in Zukunft umsetzen könnten?

In unserer Studie zeigen wir mehrere Strategien auf, passend zu dem jeweiligen Cluster. Optimal wäre natürlich eine effektive und durchgängige Digitalisierung aller Wertschöpfungsstufen mit klarer Wettbewerbspositionierung. Als einen besonders wichtigen Schritt empfinden wir Investitionen in die Marktforschung und in das
digitale Marketing.

Wie könnte die Verlags- und Buchbranche der Zukunft aussehen?

Wünschenswert wäre es, wenn die Verlage sich am Cluster „Avantgarde“ ausrichten und versuchen würden, diesen Digitalisierungsgrad zu erreichen. Dies könnte vielen, aber dürfte nicht allen Verlagen gelingen. Schon jetzt sinkt einerseits die Verlagszahl aufgrund von Aufkäufen, Geschäftsaufgaben, Insolvenzen oder Fusionen, und andererseits nimmt die Zahl der Startups zu.

Der Verlagsmarkt der Zukunft dürfte daher sowohl aus mehr durchdigitalisierten und klar positionierten Verlagen, als auch aus neuen Anbietern mit Produkten wie der Tonie-Box, Apps zur Unterhaltung oder zum Lernen bestehen.

Das Interview führte Sarina Libramm
Bildquelle: pexels.com

Dieses Interview stammt aus der aktuellen Ausgabe unseres Magazins, hier kannst du noch mehr lesen.

Hier findet man die Forschungsergebnisse Leseprobe unter: Verlage der Zukunft

Verlag: Akademische Verlagsgemeinschaft
München (AVM), ISBN: 978-3-95477-119-6
Friedrich Figge et. al.: Zukunftskompetenzen von kleinen und mittelgroßen Verlagen (KMV) im digitalen Wandel. Akademische Verlagsgemeinschaft München (AVM) 2020, 74 Seiten, 21,99 Euro als E-Book oder 28,00 € für die Print Version
Die Autorenvergütung soll der Forschung und Lehre zugutekommen.

Prof. Figge übernahm 2004 das Lehrgebiet Electronic Publishing und Multimedia an der HTWK Leipzig. Vorher war er Verlagsleiter. Nach Stationen
als Leiter Neue Medien, Online-Manager, Projektleiter für Geschäftsfeldentwicklung und Business Analyst u. a. bei Bertelsmann und Reed Elsevier. Er hat
Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte in Berlin, München und Madrid studiert.

Bildquelle: Privat

Laura Tischer ist Studentin im Studiengang Buch- und Medienwirtschaft an der HTWK Leipzig und dauerhafte Studentische Hilfskraft bei Prof. Figge. Sie hat von Anfang an in diesem Forschungsprojekt bis hin zu einem Vortrag und Workshop auf der future!publish am 14. Januar 2021 mitgearbeitet.

Ansprechpartnerin Rezensionsexemplare für Pressezwecke: Laura Tischer | Tel.: 0152 – 07 25 0183 | laura_sophie.tischer@htwk-leipzig.de

Bildquelle: Andreas Schumacher

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