Rollen mit Profil

Rollschuhfahren ist mehr als eine Freizeitbeschäftigung – ein Blick auf kulturelle und soziale Aspekte in den USA

Im letzten Jahr haben die eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten viele Leute dazu verleitet, sich neuen und alten Hobbys und Beschäftigungen zu widmen. Bananenbrot backen, Sauerteig im eigenen Kühlschrank heranziehen, sich einen Kleingarten suchen und auch das Inliner- wie Rollschuhlaufen haben einige Menschen (wieder) entdeckt. Die Bewegung auf Rollen hat im letzten Jahr so sehr an Beliebtheit zugenommen, dass die Händler*innen ständig im Verzug sind, ausreichend Modelle parat zu haben. In Geschäften steht Mensch vor leeren Regalen und auch online sind sämtlichen Varianten berollter Schuhe nicht lieferbar. Das kalifornische Unternehmen Moxi verzeichnete allein zwischen März und August 2020 eine Wachstumsrate von 1 000 %, während sonst ein jährlicher Anstieg von 50 % zu beobachten ist. Der Trend ist in vielen Ländern aufgekommen und spiegelt sich wiederum in Videos auf Instagram und TikTok. Doch hinter dem Hype steckt mehr, als die sozialen Medien und hohe Verkaufszahlen vermuten lassen.

Zwischen Ausgrenzung und Leidenschaft

An Rollschuhdiscos und Roller Derbys erfreuten sich schon vor 2020 auch in Deutschland viele Fans, häufig im Kontext von LGBTIQA*-Communities und feministischen Kreisen. Besonders in den USA zeigt sich zudem Rollschuhfahren als ein essenzieller Bestandteil Schwarzer Lebenswelten mit stark politisierter Geschichte.

Mitte des 20. Jahrhunderts war Rollschuhfahren in den USA eine der beliebtesten Freizeitaktivitäten. Hallen und Bahnen, die zum Fahren mit Musik einluden, gab es im ganzen Land. Allerdings führten anhaltende juristischen Legitimationen der Segregation dazu, dass Schwarzen Menschen häufig nur einmal die Woche Eintritt gewährt wurde. Als Reaktion eröffneten Schwarze Personen eigene Etablissements und schufen sich so den Raum, der ihnen sonst verwehrt wurde. Schnell etablierte sich Rollschuhfahren in den Black Communities als Möglichkeit, soziale Missstände für einen Moment hinter sich zu lassen und im geschützten Rahmen Musik und Bewegung gemeinschaftlich zu zelebrieren.

In den 1980er boten die Rollschubahnen zudem auch aufstrebenden Hip-Hop-Künstler*innen wie Queen Latifah und Dr. Dre eine Bühne. Rollschuhfahren und insbesondere Skate Jam, der von rhythmischen Tanzbewegungen geprägt ist, wurden schnell zu einer eigenen und weit verbreiteten Kunstform, die eng verwoben mit der Hip-Hop-Szene und von diversen tänzerischen Einflüssen inspiriert ist. Auch nach der offiziellen Abschaffung der Segregation und noch bis heute werden Anliegen Schwarzer Skater*innen vielerorts nicht berücksichtigt. Nur selten wird Hip-Hop oder Soul gespielt, weite Hosen sowie kleinere Rollen an den Schuhen, die dem Skate Jam entsprechen, sind häufig verboten. Bedürfnisse, die aus Lebensgefühl und Leidenschaft entstehen, werden von den Hallenbetreiber*innen schlichtweg ignoriert. Parallel zu diesen Restriktionen mussten einige, von Schwarzen Inhaber*innen geführten, Rollschuhbahnen auf Grund steigender Mieten oder gekündigter Mietverträge schließen. Eindrucksvoll zeigt United Skates, eine Dokumentation von 2019, die sozialen Auswirkungen dieser Schließungen und die Proteste dagegen.

Freiheit auf Rollen

Während sich nun seit dem Frühling 2020 die sozialen Medien mit Videos und Bildern von vornehmlich weißen skatenden Menschen füllen und alle vom Revival der Rollschuhe sprechen, melden sich auch Schwarze Skater*innen zu Wort. Sie wollen Aufmerksamkeit und Anerkennung dafür generieren, dass in ihren Communities das Rollschuhfahren keine Neu- oder Wiederentdeckung darstellt, sondern dass ihre Familien es seit teilweise vier oder fünf Generationen betreiben. Das Skaten ist für sie nicht nur ein Sport, sondern ein fester und gemeinschaftsstiftender Bestandteil ihrer kulturellen und sozialen Identität. Erzählt wird dabei beispielsweise von Ledger Smith, der 1963 im Alter von 27 Jahren auf Rollschuhen von Chicago nach Washington fuhr, um Martin Luther Kings berühmte „I have a dream“-Rede live zu erleben. „Roller Man“, wie er noch heute genannt wird, legte dabei etwa 1 100 Kilometer innerhalb von zehn Tagen zurück. Das Shirt, dass er während seiner Fahrt trug, zierte das Wort FREEDOM.

Autorin: Foteine König
Bildquelle: pexels.com

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